Rollenspiele, (Impro-)Theater und regelmäßige Auftritte auf der Kinoleinwand, längst ist der Werwolf zum fixen Bestandteil unserer Unterhaltungskultur geworden. Während seine Anwesenheit heute bei vielen Menschen für schaurig-schöne Abwechslung im Alltag sorgt, bot seine vermeintliche Präsenz jedoch einst keinen Anlass zur Freude. Im Volksglauben des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit galt der Werwolf als Komplize des Satans – ein Mensch, der als Gegenleistung für seinen Pakt mit dem Teufel die Fähigkeit zur Tierverwandlung erhalten hatte. Mit dem Aufkommen der Hexenverfolgung wurde ihm mancherorts gar schmerzvoll der Prozess gemacht. Vor allem in Frankreich erreichte die Werwolf-Hysterie im 16. und 17. Jahrhundert einen traurigen Höhepunkt. Geschätzt wird, dass mehrere Tausende Menschen (Zahlen von bis zu 30.000 dürften laut dem Historiker Rolf Schulte allerdings im Bereich des Mythos angesiedelt sein) nach sogenannten Werwolfprozessen hingerichtet wurden. Demgegenüber stehen mehrere Tausend vermeintliche Werwolfattacken.
Die Bestie von Gévaudan
Zu den bekanntesten von einem Werwolf verübten Morden, zählen bis heute jene der „Bestie von Gévaudan“. Das von den überlebenden Opfern als riesiges wolfsähnlich beschriebene Tier, soll in der späten Mitte des 18. Jahrhunderts in der Region im Süden der Auvergne an die 200 Menschen zerfleischt haben. Genaue Opferzahlen sind auch hier nicht bekannt. Wer oder was wirklich hinter den Vorfällen steckte, konnte nie aufgeklärt werden. Noch heute ranken sich zahlreiche Mythen und Erklärungen um die vor allem an Kindern und Frauen verübten Morde. Eine These, die auch im 2001 entstandenen französischen Spielfilm „Pakt der Wölfe“ prominent ins Bild gesetzt wurde, ist jene, dass es sich bei dem Tier, um ein aus Afrika stammende und gezielt zum Töten abgerichtete Hyäne gehandelt hätte. Eine filmische Adaption der Ereignisse findet sich auch in der amerikanischen Teenie-Serie „Teen Wolf“ (2011 bis 2017). Die sechs Staffeln basieren auf dem gleichnamigen 80er-Jahre Film mit Michal J. Fox in der Hauptrolle als Basketball spielender freundlicher Werwolf von nebenan. Im Unterschied zu jenen armen Seelen, die zur Zeit der Werwolfsprozesse der Lykanthropie (griechisch lykos Wolf und anthropos Mensch) beschuldigt wurden, behalten die Teen Wolfs jedoch auch in ihrer Wolfsform menschliche Züge und sind fähig ihre animalischen Triebe zu beherrschen.
Werwolfprozesse im deutschen Sprachraum
Sucht man – trotz zahlreicher Unterschiede zwischen dieser (frindly) Version des modernen Kino- beziehungsweise Serienwerwolfes und den armen gemarterten Beschuldigten früherer Zeiten – nach Gemeinsamkeiten so wird es auffällig, dass der Werwolf zumeist aus unteren sozialen Schichten stammt beziehungsweise als Außenseiter in der Gesellschaft steht.
Der diabolischen Verwandlung verdächtigt wurden früher oftmals Menschen, die noch nicht lange Teil der Dorfgemeinschaft waren, frisch zugezogen oder etwas außerhalb lebten – allen voran Hirten (der Berufsstand genoss prinzipiell einen schlechten Ruf, da Schäfer oftmals der Sodomie bezichtigt wurden) aber auch Bauern. Eine Beobachtung, die auch für den deutschen Sprachraum gilt.
Neben dem von dem Historiker Elmar Lorey mit Hilfe von Originaldokumenten aus der Zeit aufgearbeiteten Fall des Hirten „Heinrich dem Werwolf“ zählt vor allem die Geschichte des Bauern Peter Stubbe (auch Stump genannt) zu den prominentesten Fällen einer Werwolfanklage im deutschsprachigen Raum. Stubbe, der am 31. Oktober 1589 aufs brutalste Weise hingerichtet wurde, ist vorgeworfen worden ein Hexer in der Gestalt eines Wolfes zu sein und über einen Zeitraum von mehreren Jahren Männer, Frauen und Kinder getötet zu haben. Über die genauen Umstände des Falls ist (aufgrund des Fehlens sämtlicher Prozessakten) wenig bekannt. Mancher Forscher sieht in dem Mann tatsächlich einen Mörder, während andere ihn als Bauernopfer im Konflikt der Katholiken mit dem (diabolisierten) Protestantismus hinstellen. Die Geschichte verbreitete sich mit Hilfe von Flugblättern bis nach England und erreichte überregionale Berühmtheit.
Obwohl es zwar immer wieder zu Hinrichtungen an vermeintlichen Werwölfen kam, hielt sich der Glaube an Tierverwandlungen in kirchlichen Kreisen im Grunde in Grenzen. Das zeigt auch eine Schrift des Wiener Propsts Stephan von Lanzkranna, der sich 1484 gegen den Aberglauben an Werwölfe ausspricht. Der Grazer Universitätsprofessor Fritz Byloff schreibt in der 1934 unter dem Titel „Hexenglaube und Hexenverfolgung in den österreichischen Alpenländern“ herausgegebenen Publikation: „Auch die offizielle alpenländische Kirche war keineswegs geneigt, den Inquisitoren volle Gefolgschaft zu leisten, versuchte im Gegenteil eine abschwächende und vermittelnde Stellung zu behaupten, allerdings auf Kosten der Klarheit ihres Standpunktes.“ So sollte – auch wenn es sich bei der Wolfsverwandlung um Einbildung handelte – bei Verdacht auf „teuflischen Verkehr, Zusammenkünfte und Verträge“ eine Anzeige beim Bischof erfolgen. Es dürfte heute für die meisten Menschen wenig verwunderlich sein, dass die Verdächtigten unter Einwirkung der Folter, die ihnen aus heutiger Sicht auch die abstrusesten Vorwürfe schließlich zugaben.
Zu beachten ist auch, dass Fälle von Lykanthropie – also die Annahme eines Menschen sich in einen Wolf verwandeln zu können – im Laufe der Geschichte immer wieder bekannt wurden und von diversen Gelehrten diskutiert wurden. Zu jenen, die sich mit dem Phänomen beschäftigten zählt beispielsweise Augustinus. Dieser richtete sich vehement gegen die Möglichkeit, dass der Mensch zu einer Wolfs-Verwandlung fähig sei und sah darin vielmehr ein Produkt der Fantasie des Schlafenden, während antike Ärzte dem Betroffenen im Zuge der vier-Säfte Lehre ein zu viel an schwarzer Galle bescheinigten. Zum ersten Mal Erwähnung findet die Krankheit der Lykanthropie in einer Schrift des griechischen Mediziners Markellos von Side im 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Der Kranke verhielte sich wie ein Wolf und wandere des nachts in der Nähe von Grabstätten umher. Laut Nadine Metzger von der Universität Erlangen sei „kein anderes Tier als der Wolf besser in der Lage zu verdeutlichen, wie sich der Kranke durch seinen Wahnsinn an den Rand der Gesellschaft bewegt.“
Diabolischer Wolf
Als Bestie, als Symbol für Grausamkeit und Gefräßigkeit erfreute sich der Wolf vor allem ab dem Mittelalter dadurch, dass der Mensch verstärkt in dessen Lebensraum eindrang, was mitunter zu Futterknappheit führte, keiner großer Beliebtheit. Immer wieder finden sich Berichte von Wölfen, die auf den kriegerischen Schlachtfeldern den Geschmack von Menschenfleisch kennengelernt hatten und die an Menschenfleisch gewöhnt vor allem Kinder rissen. Vor allem aber als „Geißel der Hirten“ wurde der Wolf zur existenzgefährdenden Plage, was schließlich zu seiner Ausrottung in Österreich führte. Der letzte Wolf wurde rund um Wien 1846 von Erzherzog Franz Karl nach dessen Einbruch in den Lainzer Tiergarten zur Strecke gebracht (der letzte „österreichische“ Wolf folgte 1882 im Wechselgebiet). Von der einstigen zahlreichen Verbreitung des Meister Isegrim zeugen jedoch noch heute zahlreiche Ortschaften und Flurnamen, die das Wort Wolf im Titel tragen (von Wolfsbach und Wolfsgraben bis zum Wiener Wolfsberg, der seinen Namen von der einst in Hütteldorf beheimaten Wolfsfanganlage – einem sogenannten Wolfsgarten – trägt).
Besonders in kalten Winternächten dürfte das Geheul der Wölfe auf die Menschen eine angsteinflößende Wirkung ausgeübt haben. Immer wieder soll es während Kälteperioden zu Wolfsangriffen beziehungsweise zum Eindringen von Wölfen auch in das heutige Wiener Stadtgebiet gekommen sein. Überliefert sind beispielsweise Wolfsangriffe im Winter 1708/09 in Döbling und in der Brigittenau. „Zur Erinnerung an die endliche Rettung aus dieser furchtbaren Notlage wurde der `Wolfssegen‘ in der Weihnachtsmette in St. Stephan gesprochen“ (vgl. Der Wolf als Bauernschreck und Jagdobjekt. Historische Streifzüge durch Österreich. Hrsg. v. Georg Jäger. KRAL; 1. Edition: 2023). Hinweise über diesen speziellen Segen, der in der Christnacht abgehalten wurde, finden sich vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Die Ursprünge des Wolfssegen liegen allerdings in der römischen Zeit, im sogenannten Luperkalienfest. „Die Symbolik des Wolfabwehrungsfestes der Römer wurde der christlichen Heilslehre in der Weise angepaßt, daß Christus als jenes rettende Licht zu erkennen ist, das über die Finsternis, über den Wolf, den Teufel siegt.“ (vgl. der Wolf als Bauernschreck).
Der Werwolf in Buch und Film
Spätestens seit 1785 unterblieb der Wolfsegen in der Regierung Josef II. ganz. Generell lässt sich für die Zeit der Aufklärung feststellen, dass es nicht nur um den Wolf, sondern auch um den Werwolf immer stiller wurde. Auch auf die Autoren der Mitte des 18. Jahrhunderts in England entstehenden Schauerromanen, der Gothic Novel, dürfte der Werwolf nur wenig Eindruck hinterlassen haben. Zu den frühen Geschichten, die sich mit dem Werwolf-Mythos beschäftigen zählt Richard Thomsons The Wehr Wolf: A Legend of the Limousin (1828) sowie die anonyme Publikation „Tales of All Nations“ aus dem Jahre 1848. Mit dem Aufkommen der „Penny Dreadfuls“-Hefte feiert die Figur ein erstes Comeback, um in Folge im 20. Jahrhundert – angefangen mit „The Werewolf“ (1913) von Henry MacRae, der als erster Werwolffilm gilt – langsam auch die Leinwand zu erobern.
Sucht man heute nach Werwolffilmen, fällt die Auswahl reichlich aus. Die Palette reicht von Klassikern wie George Waggners „Der Wolfsmensch“ (1941) über „Das Tier“ (1981) von Joe Dante bis hin zu John Landis ebenfalls 1981 erschienenen „American Werwolf“. Mit der „Ginger Snaps“- Reihe und „Dog Soldiers“ hat der Werwolf auch in den 2000er-Jahren einige interessante Filmauftritte hingelegt (ganz zu schweigen von seinem Gastspiel in der „Underworld“-Reihe). Übertragen wird der Werwolf-Fluch zumeist durch einen Biss. Immer wieder spielen auch Traumsequenzen eine Rolle. Unter dem Fluch Leidende finden sich oftmals ohne Kleidung nackt im Wald wieder. Letzteres eine Thematik, die im Gegensatz zum Töten der Bestie mittels Kugel aus Silber (wobei es sich um ein Produkt des 20. Jahrhunderts handelt) bereits seit der Antike Eingang in Erzählungen von Wolfsverwandlungen gefunden hat. Schon Plinius der Ältere schreibt über den Brauch einen Mann auszuwählen, der seine Kleider abzulegen hätte und am anderen Ufer des Sees als Wolf sich der Aufgabe zu stellen hätte neun Jahre als Wolf zu überleben. Ort des Geschehens ist Arkadien – wenn man so will der Ursprung des Werwolf-Mythos, gilt doch Lykaon, der König der Arkadier allgemein als der erste Werwolf. Dieser soll dem Göttervater Zeus Menschenfleisch vorgesetzt haben und als Strafe dafür in eine reißende Bestie verwandelt worden sein. Die Sage dürfte zurückgehen auf den einstigen Brauch Menschenopfer auf dem Gipfel des Lykaion durchzuführen. Während des Festes sollen sich die in Ekstase geratenen Priester mit den von ihnen dargestellten Tier identifiziert haben. Ob bei der kultischen Handlung tatsächlich auch Menschenfleisch verspeist wurde wird wohl für immer im Dunkel der Geschichte gehüllt bleiben.
- Wachmann, Désirée Stefanie: Das Tier im Menschen. Werwölfe im Film. Diplomarbeit. Wien 2013
- Der Wolf als Bauernschreck und Jagdobjekt. Historische Streifzüge durch Österreich. Hrsg. v. Georg Jäger. KRAL; 1. Edition: 2023
- Lyloff, Fritz: „Hexenglaube und Hexenverfolgung in den österreichischen Alpenländern“ Walter de Grynter & Co. Berlin und Leipzig: 1934.
- Metzger, Nadine: „Zwischen Mensch und Wolf. Zur Lykanthropie der spätantiken Medizin“. Arbeitskreis Alte Medizin (30. Treffen am 3. und 4. Juli 2010) Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Johannes-Gutenberg-Universität
- Stiegler, Christian: Vergessene Bestie : der Werwolf in der deutschen Literatur. Braunmüller Verlag: Wien 2007
- Habeck, Reinhard: Wesen, die es nicht geben dürfte : unheimliche Begegnungen mit Geschöpfen der Anderswelt. Rottenburg am Neckar : Kopp Verlag 2014.
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